Ich blicke auf den Boden eines langen Flures. Den ganzen Tag über, konnte ich hören, wie das Reinigungspersonal mit schwerem Gerät poliert und geputzt hat. Das Stimmengewirr, welches mich durch meine Zimmertür stundenlang begleitete und irgendwann zu einem vertrauten Umweltgeräusch wurde, ist inzwischen verstummt.
Nun starre ich fasziniert auf die vielen blauen Plastikfliesen, die in verspielten Ornamenten glänzen, als ob jede einzelne die persönliche Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen will. Nachdem den ganzen Tag über unzählige Schichten Wachs aufgetragen wurden glänzt dieser Boden, der mich noch am Vorabend so unansehnlich an eine Herrentoilette am Busbahnhof erinnerte, so als hätte er nie etwas anderes gemacht. Das Licht der Leuchtstoffröhren der Deckenbeleuchtung wird nun ungebrochen vom Boden zurückgeworfen und lässt den Flur des amerikanischen Studentenwohnheims plötzlich viel heller, ja fast freundlich, wirken. Einzig der schwere Duft der Weichmacher und Reinigungsmittel erinnern noch an die Arbeit, die ein gutes Dutzend Angestellter heute vollbracht haben.
Es ist Abend und der Abend ist die beste Zeit um auf Erkundungstouren zu gehen. Die Hitze der Mittagssonne ist nur noch ein Gedanke. Ein Gedanke an das Damoklesschwert, das hier im Süden der USA seit Tagen über uns schwebt. Pflichtbewusst und aus Sorge um mein Eigentum in der noch fremden Umgebung, mit den namenlosen Nachbarn, die einem freundlich strahlend am Vorabend im Flur begegnet sind, verriegle ich die schwere Buchenholztür zu meinem Zimmer. Das Schloss schließt nicht wie in der Heimat und ich muss mich selbst überprüfen um sicher zu gehen, dass die Tür wirklich verschlossen ist.
Ich richte noch einmal meinen Cowboyhut und überprüfe, ob ich auch die Türkarte, die ich zum öffnen der elektronischen Eingangstür benötige, in meiner Hosentasche habe.
Der Flur wirkt wie ausgestorben. Überhaupt ist es still. Nachdem es den ganzen Tag so störend laut war, ist es nun still. Die Nachbarn, deren Namen mir noch nicht bekannt sind, sind schon auf ihren Zimmern und machen sich wohl bereit zu Bett zu gehen. Es ist noch nicht spät, grade einmal 23 Uhr.
Mir schießt der Gedanke in den Kopf, dass es in der Heimat ja nun schon wieder Morgen ist und sogar ein anderer Tag. In Gedanken versunken gehe ich den Flur entlang. Nur vor dem Zimmer mit der Nummer 241 werde ich noch einmal aus meinen Gedanken geholt. Hier wohnt Max denke ich mir und freue mich, dass nicht alles fremd ist in der neuen Umgebung. Ich öffne die stählerne Brandschutztür, an der viele bunte Zettel über die Veranstaltungen der nächsten Tage informieren.
Der Raum den ich nun betrete ruft in meinem Kopf unweigerlich die Titelmusik zum „Herr-der-Ringe-Film“ ab. Edle, mit Stuck besetzte und in einem frischen Weiß getünchte Säulen erheben sich majestätisch in die Höhe. Auf ihrem oberen Ende sitzt eine Kuppel, bei deren Anblick ich vor Staunen meinen Mund öffne. Der gigantische Kuppelbau bildet das Zentrum unserer Wohnanlage. Auf drei Ebenen präsentieren sich einladend die schweren Lesesessel, die an den Geländern zum Mittelkreis unter der Kuppel stehen. Ich blicke aus dem ersten Stockwerk nun sowohl nach unten als auch nach oben und bewundere ehrfürchtig, wohin es mich nun wieder verschlagen hat.
Ich schreite alle Flure ab und bewundere die Möglichkeiten, die mir dieses riesige Gebäude bietet. Die große Gemeinschaftsküche, in der ich zu meinem Entsetzen weder Gewürze noch Kochgeschirr finde. Was will man auch in einem reinen Männerwohnheim erwarten?
Den Eisspender, der zu jeder Tages und Nachtzeit zentnerweise gefrorenes Wasser bereit hält. Die wuchtigen Getränke- und Snackautomaten, die es einem sogar erlauben auch den minimalen Betrag von 0,75 $ mit der Kreditkarte zu bezahlen.
Beeindruckt vom Gesehenen verlasse ich das Gebäude und befinde mich wie immer in einer anderen Welt. Die kühle klimatisierte Welt des Wohnheims liegt jetzt hinter mir und vor mir erstreckt sich die endlose Dunkelheit, die einen nicht grade verwöhnt. Nein, vielmehr steht auch zu später Stunde noch die Luft. Ich habe den Eingangsbereich noch nicht verlassen, weil ich mir noch unsicher bin, ob ich mich heute noch einmal der Hitze aussetzen will. Die Dunkelheit ruft nach mir. Das Geschwirr von unendlichen Heerscharen verschiedenster Käferarten lässt die Nacht erwachen und wird nicht einmal durch den Verkehrslärm des nahegelegenen Highway durchbrochen, der ohnehin zu dieser Stunde bereits eingeschlafen ist. Überhaupt ist kein Mensch unterwegs und plötzlich ist man allein. Man ist allein mit der Welt, der Natur und der Dunkelheit, die nur vereinzelt durch fernes und blasses Licht und das beständig lauter werdende Konzert der Käfer durchbrochen wird. Diese Käfer liefern einem die Geräuschkulisse für einen Abenteuerfilm im Dschungel. Aber ich stehe nicht im Dschungel. Ich stehe einen Meter vor der Tür zum Wohnheim und blicke auf das verlassene Volleyballfeld, die Campusgebäude und Parkplätze, die sich nur schwer in der Dunkelheit ausmachen lassen. Ich spüre, wie die Hitze in meinen Körper dringt. Die Lungen füllen sich bei jedem Atemzug mit schwerer heißer Luft und ich entscheide mich wieder auf mein Zimmer zu gehen.
Ich sollte das Wochenende genießen. Die Orientierungswoche, in der ich meinen Stundenplan zusammengestellt und andere organisatorische Dinge erledigt habe, liegt hinter mir. Das Wochenende liegt vor mir.
Die Heimat erwacht und ich gehe zu Bett. Am Montag beginnt der offizielle Teil und das Studium wird an Fahrt gewinnen.

Joni, du solltest Schriftsteller werden! ;) ... ich meins ernst - dein blog ist voll interessant geschrieben!
AntwortenLöschenLiebe Grüße aus Mainz!