Donnerstag, 23. September 2010

Bier


Große alte Bäume ziehen an mir vorüber. Ich kann sie kaum wahrnehmen. Sollte das meine erste Erfahrung mit Rassismus gewesen sein?
Das Auto fährt schnell. Fast 80 Meilen in der Stunde. Zielstrebig fährt der geräumige Minivan in die Dunkelheit. Er kennt sein Ziel nicht und ich, der Beifahrer, kenne es auch nicht. Es ist mir auch egal. Bleiern liegt der Geruch von Benzin auf meiner Lunge und zwischen meinen Zähnen knirscht ein Körnchen texanischen Sandes. Es ist wahrscheinlich jener rote Sand, der hier die Landschaft prägt und einem seit gestern das unbeschreibliche Gefühl verschafft, endlich im Wilden Westen angekommen zu sein.
Da sind immer wieder diese Bäume. Bäume, die so hoch und alt sind, dass sie die Heimat nicht kennt. Doch jetzt sind sie nur noch schwere und endlose Schatten. Die Sonne lässt sich kaum mehr erahnen. Sie ist bereits hinter dem Horizont verschwunden. Ganz beiläufig kommt mir der Gedanke in den Kopf, dass sie ja im Westen untergeht . Im Westen? Manifest Destiny. Aber gilt das nicht auch heute noch für jeden? Also kann ich im Westen doch nicht falsch oder fremd sein? Wieder reift die Wut und die Hilflosigkeit im Bauch zu einem großen schwarzen Ball heran, der einen zu verschlingen droht.
Im Augenwinkel werden die Bäume nun immer lückenhafter und geben für den Bruchteil einer Sekunde den Blick auf die endlosen Felder und Wiesen frei, die das letzte Sonnenlicht so krampfhaft festzuhalten scheinen. Ab und an kann man auch eine der wuchtigen Ölförderpumpen in der Dunkelheit erahnen, die sich in stoischer Ruhe auf und ab bewegen. Das hier ist Ölland. Es ist eine seltsame Symbiose, die Natur und Technik so bereitwillig eingehen. Aber das Land ist so groß. So unfassbar groß. Die Natur, die überall mit ihrer Unberührtheit lockt, ist allgegenwärtig. Dem Deutschen fehlt die gewohnte Ordnung in der Natur und oft fühlt man sich verloren oder wie auf einem anderen Planeten.
Doch alles was um mich herum passiert, setzt meine Gedanken nicht frei. Welchen Grund mag der Verkäufer wohl gehabt haben, uns so zu behandeln? War es nur die Tatsache, dass wir Deutsche sind oder vielleicht doch mehr?
Mit großer Freude habe ich den Liquor Store betreten. Vorfreude, um genau zu sein. Endlich mal ein Bier mit ein paar neuen Freunden trinken – und dann das.
Strahlend und verheißungsvoll haben uns die bunten Lichter des gut sortieren Alkoholgeschäfts empfangen, als wir den Laden betraten. Schon nach wenigen Sekunden hatten wir gutes deutsches Bier in einem der Regale ausgemacht. Ein Stück Heimat in der Fremde. Zielsicher griff ich nach einem Karton mit 12 deutschen Bieren, während der Rest der Gruppe sich noch im Laden umsah. Auf dem Weg zur Kasse spürte ich wie die Kälte aus dem Bier in meine Hand fuhr, was die Vorfreude noch steigerte. Es war eine seltsame Atmosphäre in diesem Laden, der ausschließlich Alkohol verkauft. Das künstliche Licht tauchte all die Spirituosen, die vom Frost der Kühlanlagen überzogen waren, in eine funkelnde Hülle. Reglos schauten die Angestellten, die neben unserer Gruppe die einzigen im Laden waren, unserem Treiben zu. Als ich an der Kasse angekommen war und Ware auf dem Tresen abgelegt hatte, wurde mir die obligatorische Frage nach einem Ausweis gestellt.
Der Mann hinterm Tresen war alt. Ein grauer Dreitagebart und eine Randlosebrille waren das einzig markante an seiner Erscheinung. Zunächst sah er mich noch mit der vertrauten Südsaatenfreundlichkeit in seinem Gesicht an, als er einen Blick auf meinen Pass geworfen hatte und ihm klar wurde, dass kein Amerikaner vor ihm stand, sondern ein Deutscher, war es mit der Freundlichkeit vorbei. Er gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass er an uns kein Bier verkaufen wird. Als mein Freund Miles sich einmischte und mit einer schwungvollen Bewegung den hastig gezückten, amerikanischen Führerschein auf den vergilbten Tresen manövrierte, ging ich für einen flüchtigen Moment davon aus, dass die Situation gerettet sei.
Doch ich lag falsch. Schon im nächsten Augenblick wurde der Kreis, der nicht zum Kauf berechtigten Ausländer, um Amerikaner aus Mississippi erweitert. Fassungslos blickten wir einander an. Was passierte hier? Als ich freundlich aber bestimmt darauf hinweisen wollte, dass alle Pässe gültig sind und er keinen Grund hat uns den Handel derart zu erschweren, fuhr mir der greise Kassierer ins Wort und erneuerte seinen Standpunkt. Kein deutsches Bier für Deutsche. Mit einem retardierten Gespür für die Gefährlichkeit der Situation versuchte ich weiterhin mein Glück.
Der alte Herr machte einen Schritt nach vorn. Unmittelbar fuhr es mir wie ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Der nächste Schritt in dieser Diskussion ist die Waffe, die er unterm Tresen hervorholt.
Schnell. Schnell raus. Zwei, drei große Schritte und die automatische Tür ging auf. Wie automatisch bewegten sich auch meine Lippen. „This is racism!“(Das ist Rassismus)  suchte ganz von allein und unwillentlich seinen Weg tief aus meinen Lungen und durch meinen Mund in die kühle Luft des sterilen Alkoholladens. Verwundert schauten meine Freunde mir nach, nur um im nächsten Moment selbst die Flucht zu ergreifen.

Und nun?
Jetzt scheint das alles so fern zu sein. Doch der Groll sitzt tief. Alles zieht an mir vorbei und ich weiß nicht, was ich denken soll. „Glück im Unglück“, schießt mir in den Kopf, aber das passt nicht wirklich. Es ist eine Erfahrung und die spiegelt nicht das, was man sonst erlebt. Es ist eine Erfahrung und die ist wertvoll.

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