Samstag, 21. August 2010

Das Wohnheim


Ich blicke auf den Boden eines langen Flures. Den ganzen Tag über, konnte ich hören, wie das Reinigungspersonal mit schwerem Gerät poliert und geputzt hat. Das Stimmengewirr, welches mich durch meine Zimmertür stundenlang begleitete und irgendwann zu einem vertrauten Umweltgeräusch wurde, ist inzwischen verstummt.

Nun starre ich fasziniert auf die vielen blauen Plastikfliesen, die in verspielten Ornamenten glänzen, als ob jede einzelne die persönliche Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen will. Nachdem den ganzen Tag über unzählige Schichten Wachs aufgetragen wurden glänzt dieser Boden, der mich noch am Vorabend so unansehnlich an eine Herrentoilette am Busbahnhof erinnerte, so als hätte er nie etwas anderes gemacht. Das Licht der Leuchtstoffröhren der Deckenbeleuchtung wird nun ungebrochen vom Boden zurückgeworfen und lässt den Flur des amerikanischen Studentenwohnheims plötzlich viel heller, ja fast freundlich, wirken. Einzig der schwere Duft der Weichmacher und Reinigungsmittel erinnern noch an die Arbeit, die ein gutes Dutzend Angestellter heute vollbracht haben.

Es ist Abend und der Abend ist die beste Zeit um auf Erkundungstouren zu gehen. Die Hitze der Mittagssonne ist nur noch ein Gedanke. Ein Gedanke an das Damoklesschwert, das hier im Süden der USA seit Tagen über uns schwebt. Pflichtbewusst und aus Sorge um mein Eigentum in der noch fremden Umgebung, mit den namenlosen Nachbarn, die einem freundlich strahlend am Vorabend im Flur begegnet sind, verriegle ich die schwere Buchenholztür zu meinem Zimmer. Das Schloss schließt nicht wie in der Heimat und ich muss mich selbst überprüfen um sicher zu gehen, dass die Tür wirklich verschlossen ist.

Ich richte noch einmal meinen Cowboyhut und überprüfe, ob ich auch die Türkarte, die ich zum öffnen der elektronischen Eingangstür benötige, in meiner Hosentasche habe.

Der Flur wirkt wie ausgestorben. Überhaupt ist es still. Nachdem es den ganzen Tag so störend laut war, ist es nun still. Die Nachbarn, deren Namen mir noch nicht bekannt sind, sind schon auf ihren Zimmern und machen sich wohl bereit zu Bett zu gehen. Es ist noch nicht spät, grade einmal 23 Uhr.

Mir schießt der Gedanke in den Kopf, dass es in der Heimat ja nun schon wieder Morgen ist und sogar ein anderer Tag. In Gedanken versunken gehe ich den Flur entlang. Nur vor dem Zimmer mit der Nummer 241 werde ich noch einmal aus meinen Gedanken geholt. Hier wohnt Max denke ich mir und freue mich, dass nicht alles fremd ist in der neuen Umgebung. Ich öffne die stählerne Brandschutztür, an der viele bunte Zettel über die Veranstaltungen der nächsten Tage informieren.

Der Raum den ich nun betrete ruft in meinem Kopf unweigerlich die Titelmusik zum „Herr-der-Ringe-Film“ ab. Edle, mit Stuck besetzte und in einem frischen Weiß getünchte Säulen erheben sich majestätisch in die Höhe. Auf ihrem oberen Ende sitzt eine Kuppel, bei deren Anblick ich vor Staunen meinen Mund öffne. Der gigantische Kuppelbau bildet das Zentrum unserer Wohnanlage. Auf drei Ebenen präsentieren sich einladend die schweren Lesesessel, die an den Geländern zum Mittelkreis unter der Kuppel stehen. Ich blicke aus dem ersten Stockwerk nun sowohl nach unten als auch nach oben und bewundere ehrfürchtig, wohin es mich nun wieder verschlagen hat.

Ich schreite alle Flure ab und bewundere die Möglichkeiten, die mir dieses riesige Gebäude bietet. Die große Gemeinschaftsküche, in der ich zu meinem Entsetzen weder Gewürze noch Kochgeschirr finde. Was will man auch in einem reinen Männerwohnheim erwarten?

Den Eisspender, der zu jeder Tages und Nachtzeit zentnerweise gefrorenes Wasser bereit hält. Die wuchtigen Getränke- und Snackautomaten, die es einem sogar erlauben auch den minimalen Betrag von 0,75 $ mit der Kreditkarte zu bezahlen.

Beeindruckt vom Gesehenen verlasse ich das Gebäude und befinde mich wie immer in einer anderen Welt. Die kühle klimatisierte Welt des Wohnheims liegt jetzt hinter mir und vor mir erstreckt sich die endlose Dunkelheit, die einen nicht grade verwöhnt. Nein, vielmehr steht auch zu später Stunde noch die Luft. Ich habe den Eingangsbereich noch nicht verlassen, weil ich mir noch unsicher bin, ob ich mich heute noch einmal der Hitze aussetzen will. Die Dunkelheit ruft nach mir. Das Geschwirr von unendlichen Heerscharen verschiedenster Käferarten lässt die Nacht erwachen und wird nicht einmal durch den Verkehrslärm des nahegelegenen Highway durchbrochen, der ohnehin zu dieser Stunde bereits eingeschlafen ist. Überhaupt ist kein Mensch unterwegs und plötzlich ist man allein. Man ist allein mit der Welt, der Natur und der Dunkelheit, die nur vereinzelt durch fernes und blasses Licht und das beständig lauter werdende Konzert der Käfer durchbrochen wird. Diese Käfer liefern einem die Geräuschkulisse für einen Abenteuerfilm im Dschungel. Aber ich stehe nicht im Dschungel. Ich stehe einen Meter vor der Tür zum Wohnheim und blicke auf das verlassene Volleyballfeld, die Campusgebäude und Parkplätze, die sich nur schwer in der Dunkelheit ausmachen lassen. Ich spüre, wie die Hitze in meinen Körper dringt. Die Lungen füllen sich bei jedem Atemzug mit schwerer heißer Luft und ich entscheide mich wieder auf mein Zimmer zu gehen.

Ich sollte das Wochenende genießen. Die Orientierungswoche, in der ich meinen Stundenplan zusammengestellt und andere organisatorische Dinge erledigt habe, liegt hinter mir. Das Wochenende liegt vor mir.

Die Heimat erwacht und ich gehe zu Bett. Am Montag beginnt der offizielle Teil und das Studium wird an Fahrt gewinnen.


Freitag, 20. August 2010

Der erste Eindruck und der zweite Blick



Der Körper gewöhnt sich langsam an das Klima, welches die Heimat nur aus Erzählungen oder Filmen kennt. Mit einer seltsamen Vertrautheit erwartet man das drückende Gefühl, das einen freundlich wärmend und im Einklang mit satten Sonnenstrahlen erwartet, wenn man die klimatisierten Automobile oder Gebäude verlässt.


Umgekehrt sehnt man den Moment herbei, der einen so schlagartig und total aus der lähmenden Mittagshitze entführt und einem das Gefühl verschafft, durch nur einen Schritt in den Eingangsbereich des örtlichen Walmarts, den Gipfel der Zugspitze erreicht zu haben.

Die Eindrücke, welche einem die vergangene Woche so farbenfroh und intensiv geboten hat, mündeten in manchen Augenblicken in einer Reizüberflutung, die man kaum in Worten oder Bildern beschreiben kann.



Die zweite Woche auf amerikanischem Boden war von endlosen Meilen auf menschenleeren Highways, freundlichen Gastgebern, alten Bekannten, der Erfüllung von Kindheitsträumen, noch viel mehr Essen und der ersten sportlichen Betätigung seit meiner Ankunft in Mississippi geprägt.

Freundliche Gastgeber erwarteten uns auf unserem Road Trip in Birmingham, Alabama.

Alte Bekannte aus meiner Mainzer Gemeinde traf ich dann in Nashville, Tennessee. Dort konnte ich mir dann auch endlich meinen Cowboyhut kaufen, den ich fortan voller Stolz trage.

Nach unserer Reise beginnt für mich nun das Studium in Clinton, Mississippi...

Die erste Amerika-Karte (die roten Staaten habe ich bereits besucht):

Sonntag, 8. August 2010

Willkommen... aber warum ist da niemand?

Hallo liebe Heimat.

Amerika. Wenn man so über die USA nachdenkt und spricht hat man schon in Deutschland viel zu erzählen und zahlreiche Gedanken. Viele glauben auch (und da nehme ich mich selbst nicht aus), dass sie sehr viel über dieses Land wissen. Betritt man amerikanischen Boden oder besser gesagt texanischen Boden, so ist jeder Gedanke obsolet.

Texas ist kein Eindruck es ist eine Erfahrung. Getreu dem inoffiziellen Staatsmotto „Everything is bigger in Texas“ wird einem die Umsetzung dieses Gedankens schon beim Verlassen des Fliegers eindrucksvoll vor Augen geführt. Vom Türknauf bis zur Kloschüssel ist alles in einer fast lächerlichen Dimension gefertigt, die einem das Gefühl verschafft ein Zwerg zu sein.

In Dallas, Texas hatte ich meinen ersten Zwischenstop auf meiner Reise durch dieses gigantische Land. Mit Max, dem anderen deutschen Austauschstudenten, an meiner Seite, hatte ich einige Stunden Zeit erste Eindrücke zu sammeln.

Im Moment ist der Süden der USA fest im Griff einer Hitzewelle, die die Temperaturen mancherorts an die 50-Grad-Marke steigen lässt. Unser erster Versuch ein bisschen frische amerikanische Luft zu schnappen scheiterte angesichts der unfassbar heißen Außentemperatur, die einen beim Verlassen des Flughafens merklich Richtung Boden drückte und einem das bekannte Gefühl des Aufgusses in einer deutschen Sauna verschaffte.

Wieder zurück im Flughafen, suchten wir zunächst nach einer Möglichkeit eine Email in die Heimat zu schicken, um das Vaterland über unsere geglückte erste Landung zu informieren. Beim anschließenden Schlendern durch die Gebäude des Flughafens prasselte eine Vielzahl von Gerüchen und Bildern auf mich ein, die, verstärkt durch die allerorts gehörten englischen Worte, ein gewisses Glücksgefühl aufkeimen ließen und mich selig lächelnd durch die langen und mit farbenfrohen Werbebotschaften versehenen Verkaufsmeilen des Airports schweben ließen. In Texas haben wir dann auch den ersten Burger unserer Reise gegessen und es sollte nicht der letzte Burger sein ...

Nach unsrer Landung in Jackson, Mississippi verflog die anfängliche Euphorie, als wir feststellen mussten, dass das geplante Begrüßungskomitee es nicht pünktlich zum Flughafen geschafft hatte. Als auch nach einer Stunde des Wartens, in einer inzwischen bis auf das Reinigungspersonal leeren Flughafenhalle, noch niemand gekommen war um uns einsame und müde Gestalten in der Fremde zu empfangen, entschlossen wir uns mit einem Taxi ins Hotel zu fahren.

Angekommen im Hotel, suchte der Blick sofort das Bett, welches auch in Mississippi sehr viel größer ist als im Rest der Welt. Nach einiger Zeit klingelte zunächst das Telefon und dann klopfte es an der Tür. Fröhlich lächelnd und mit einem Plakat bewaffnet blickten wir mit unsren müden Augen in die Gesichter zahlreicher amerikanischer Studenten, die uns in diesem Moment unsere erste große Lektion zum Verständnis von Pünktlichkeit im guten alten Süden erteilten.



Am nächsten Morgen bekamen wir und das sogar in preußischer Pünktlichkeit ein Frühstück bei McDonalds und eine Führung über den Campus in Clinton. Die eindrucksvollen Backsteinbauten, die teilweise sogar den amerikanischen Bürgerkrieg überdauerten, machten einen gepflegten und ruhigen Eindruck. Was mir in der Dunkelheit der Nacht noch entgangen war, das erkannte ich in grellen Sonnenlicht sofort.



Der Staat Mississippi ist überaus grün. Hohe alte Bäume, die in Gruppen beieinander stehen und durchzogen sind von satten Grünflächen, prägen das Stadtbild und wie selbstverständlich scheint die Natur in einer friedlichen Koexistenz mit der Zivilisation zu stehen. Eine Stadt im Süden der USA, aber vor allem in Mississippi ist keine Stadt wie sie der Deutsche aus Europa kennt. Gänzlich fehlen die engen Gässchen und die gedrungenen Häuser. Man sucht vergebens nach scharfen Kurven oder gar Bürgersteigen. In einer Stadt wie dieser gibt es keine Innenstadt, keine Einkaufsstraße oder Straßencafes, die beim Flanieren zu einer kurzen Rast einladen. Diese Stadt kennt nicht diese so deutsche Problem der Parkplatzsuche. Diese Stadt ist ein Parkplatz. Ein Parkplatz der liebevoll in einer atemberaubende Naturkulisse eingebetet nie erwacht, sondern immer schläft. Fährt man durch diese Stadt, so fühlt man sich nicht in einer Stadt. Häuser stehen weit so weit voneinander entfernt, dass man den Nachbarn besuchen fährt. Die Fläche zwischen den einzelnen Häusern gehört der Natur. Überhaupt fährt man überall hin. Einen Laden, der es einem nicht ermöglicht vom Autofenster aus eine Bestellung aufzugeben, findet man höchstens in der Mall. Dort verbringt man dann auch die Zeit außerhalb des Autos. Die Mall ist ein riesiger Komplex von kleinen Läden, die eingebetet in eine gigantische, mehrstöckige Halle mit dem selbstverständlichen Luxus einer Klimaanlage locken. Um der Hitze des Alltags zu entgehen, verbringt man die meiste Zeit mit Einkaufen und Essen oder eben im Auto.

Auf den schier endlosen Straßen, die in ihrer bestechenden Breite zur schnellen Fahrt einladen, kriecht der Amerikaner in seinen lachhaft großen und übermotorisierten Autos über den Asphalt. Das Auto ist in Amerika alles. Ohne ein Auto wäre man zumindest im Süden nicht in der Lage selbstständig zu überleben. Der Amerikaner liebt sein Auto, aber er sieht es als Gebrauchsgegenstand. Die liebevolle und oft von Sorgen um den Lack und den Innenraum genährte Angst, mit der man seinem Auto in Deutschland begegnet, ist dem Amerikaner fremd.

Am Montag beginnt unsre Reise durch Alabama und Tennessee...