Ganz allein in den Weiten der Prärie komme ich mir vor wie John Dunbar in „Der mit dem Wolf tanzt“ und ich ertappe mich in einem Moment vollkommener Glückseeligkeit dabei, wie die Worte: „Ich wollte den Westen sehen solange es ihn noch gibt!“, wie ganz von alleine von meinen Lippen in die Weite des Raums gehaucht werden.
Kansas brennt. Diese Geschichte bekommt man hier im Wilden Westen fast täglich zu hören. Die Umwelt leidet und in den großen Städten wird die Luft verpestet. Über Tage hinweg hängen dichte Rauchwolken am Horizont und die Luft riecht nach Feuer und trägt die unangenehme Schwere tausender kleiner Ascheteilchen mit sich, die mit jedem Atemzug die Lunge füllen.
Jedes Jahr im Frühling, noch bevor die Gräser in der Prärie grün werden und sich der Sonne entgegen recken, brennen die zahlreichen Rancher diese malerische Filmkulisse nieder. Eine Fläche so groß wie das Saarland fällt den Flammen zum Opfer und dieses Land gehört einer einzigen Familie. Alles verbrennt. Sträucher, trockene Gräser und Kuhdung gehen in Windeseile in Flammen auf, Bäume kennt diese atemberaubende Landschaft nicht. Die Rancher tun dies, weil es ihre Lebensgrundlage darstellt. Zehntausende Rinder beanspruchen diese Landschaft jedes Jahr maximal. Um möglichst viel sattes junges Grün zu haben muss das Alte und Verdorrte verschwinden und Feuer scheint hier der einzige Weg zu sein. Auch andernorts brennt die Landschaft, doch nirgends so nahe der Zivilisation und in so großem Ausmaß, wie in der Gegend westlich von Topeka.
Doch Kansas hat mehr zu bieten, als die unendliche Weite der Prärie, die weiten Getreidefelder und gigantische Büffelherden. Kansas, das ist ein Staat, der mit einer reichen Geschichte lockt. Vor der Ankunft der Europäer in diesem Gebiet lebten dort amerikanische Ureinwohner im friedlichen Einklang mit der Natur. Doch diese Geschichte ist nicht ihre Geschichte. Diese Geschichte ist die Geschichte des Feuers. Feuer ist das zentrale Element in der jüngeren Geschichte dieses Staates.
Dies ist die Geschichte des geplatzten Traums von Demokratie und einem neuen Deutschland und einem waghalsigen Neuanfang in einem fernen Land.
Nachdem ich einen Tag in der Prärie verbracht habe, wandle ich am nächsten Tag durch die Kulisse einer Stadt, die es eigentlich nicht mehr geben dürfte. Lawrence war eine der ersten Städte, die nach dem Kansas-Nebraska-Akt von 1854 auf dem Gebiet des heutigen Kansas noch in 1854 gegründet wurden. Die große Streitfrage jener Tage war die Sklavenfrage. Würde es der neue Staat dem Nachbarstaat Missouri, der schon 1820 mit dem Missouri-Kompromiss für Aufruhe um das Gleichgewicht im US-Senat sorgte, gleich tun und trotz der geografischen Zugehörigkeit zum Norden ein Sklavenstaat werden oder würde er das Gleichgewicht zwischen sklavenfreien und Sklavenstaaten zugunsten des Nordens verschieben? In jedem Fall war der Druck riesig und das Konfliktpotenzial enorm, als sich im Sommer 1856 einige Deutsche Siedler auf den Weg nach Kansas machten.
In der Heimat wurden sie verfolgt. Sie wurden als Idealisten und Traumtänzer geächtet und mussten nach dem Scheitern der Revolution in der Heimat fliehen. Diese Deutschen waren keine Siedler. Sie haben nie einen Pflug geführt oder eine Ernte eingefahren. Die Weite des Raums, die fremden Pflanzen und die Wildnis des Westens müssen sie eingeschüchtert haben und ihnen das letzte Körnchen Mut abverlangt haben. Keine Bauern, sondern Akademiker, Juristen und Doktoren aus den deutschsprachigen Großstädten Mitteleuropas versammelten sich in jenem Sommer in der neuen Welt zu einem risikoreichen Unterfangen in der Nähe von New York. Die Entscheidung über die politische Zukunft des Staates Kansas lag bei den Siedlern und die Deutschen Demokraten und Bürgerrechtler packten noch einmal allen Mut und revolutionären Geist zusammen und machten sich auf in eine fremde Welt zu einem neuen Abenteuer. Sie wollten Kansas als sklavenfreien Staat in der Union etablieren und ihre Stimme als Siedler und ihre Erfahrung im politischen Kampf nutzen, um ihr Anliegen zum Erfolg zu führen.
Nach endlosen Wochen auf dem Rücken von Pferden und in Planwagen fanden sie sich in Lawrence, jenem letzten Vorposten der Zivilisation, wieder, um vor ihrer Weiterreise noch einige Tage im gewohnten Klima einer Kleinstadt zu verbringen.
Sie hätten keinen schlechteren Zeitpunkt wählen können. Im Sommer 1856 brannte Kansas. Was später als „Bleeding Kansas“ (Blutendes Kansas) in die Geschichte eingehen sollte, war für diese deutschen Siedler blutige Realität. Nichtsahnend und von falschen Versprechungen und politischen Idealen getrieben waren sie in den Westen gekommen.
Kurz nach der Ankunft der Deutschen und noch bevor sie die Stadt wieder verlassen konnten, wurde für Lawrence der Belagerungszustand ausgerufen. Befürworter der Sklavenhaltung aus Missouri hatten die Stadt, die auch heute noch eine Hochburg der Demokraten und des liberalen Lebenstils ist, eingekreist und drohten sie niederzubrennen.
In diesem Sommer endete die Belagerung unblutig und die Deutschen schöpften neuen Mut. Es war eine trügerische Ruhe, denn der Konflikt war keineswegs aus der Welt geschafft. Die deutsche Minderheit in der Stadt entwickelte sich prächtig und es gefiel ihnen anscheinend so gut, dass sie ihr Glück nun in der Stadt und im politischen Kampf suchten und das karge Siedlerleben keinen Anreiz mehr bot.
Im Jahre 1863 hatten die Deutschen einen erneuten Aufruf gestartet, um die eigenen Landsleute davon zu überzeugen, sich auf den Weg nach Kansas zu machen. Der Bürgerkrieg, der seit 2 Jahren tobte schien hier im Westen fern zu sein und der bestehende Konflikt war wie auf Eis gelegt. Es kam zwar zu gelegentlichen Übergriffen im ländlichen Raum, aber da nun die Konfliktparteinen, Missouri und Kansas, beide auf Seiten der Nordstaaten kämpften, sorgte die Armee für Ruhe und entschärfte den Konflikt so gut es ging.
Die Deutschen kamen. Niemand kann sagen wie viele Deutsche Siedler wirklich in der Stadt waren, als William Clark Quantrill am 21. August 1863 die Stadt überfiel. Sein erklärtes Ziel war es mit seiner prosüdlichen Guerillatruppe alle Männer in der verhassten Hochburg der Sklavereigegner zu töten und alle Häuser niederzubrennen. Über Tage hinweg hatten sie mit der Armee, die ihnen in der Prärie stets dicht auf den Fersen war Katz und Maus gespielt. 2 Tage zuvor hatten die Späher der Armee Quantrill und seine Leute dann verloren, als diese den Missouri überquerten und ins Kansas-Territorium eindrangen.
An jenem 21. August richteten sie in der Stadt ein Blutbad an. Auf der Suche nach den politischen Aktivisten der Stadt, erschossen die Marodeure jeden Mann, der ihnen über den Weg lief. 183 Bewohner der Kleinstadt und jedes vierte Haus fielen den Eindringlingen in der wehrlosen Stadt, die kurz zuvor die Bürgerwehr aus Kostengründen entlassen hatte, zum Opfer. Dramatischer war die Lage für die neuen, vornehmlich deutschen Siedler. Sie konnten nicht in einem der Häuser Schutz suchen und als sich die Staubwolke der herannahenden und oft betrunkenen Kämpfer der Stadt näherte waren sie hilflos in den Straßen der Stadt gefangen.
Niemand kann sagen wie viele Deutsche an jenem Tag starben und wie ihre Namen sind. Eine kleine Tafel im alten Bahnhofsgebäude erinnert an das Massengrab außerhalb der Stadt und den namenlosen Tod der deutschen Siedler.